Paris Brest Paris
… ist das älteste Radrennen der Welt, das nur alle vier Jahre in Frankreich gefahren wird.
Die erste Austragung fand am 6. September 1891 statt. Es gilt 1200 km mit 11.000 Höhenmetern in maximal 90 Stunden von Paris, durch die Stoppelfelder der Normandie, über die hügelige Landschaft der Bretagne, bis nach Brest an den Atlantik und wieder zurück zu absolvieren, um sich anschließend Randonneur nennen zu dürfen.
Wer einen von den 8000 Startplätzen bekommen möchte, wovon 2500 für Franzosen reserviert sind, muss sich mit vier Brevets (frz.: Prüfungen) in einem vom Audax Club Parisien (ARA) registriertem Bundesland qualifizieren. Dabei mussten jeweils 200 km in max. 13,5 Stunden, 300 km in max. 20 Stunden, 400 km in max. 27 Stunden, und 600 km in max. 40 Stunden (Diese Tour führte von Hamburg unter anderem auf den Brocken im Harz) gefahren werden.
Torben Siems (33) aus Assel/ Drochtersen war einer von ihnen und durfte am 20. August 2023 um 19:45 Uhr in Rambouillet bei der 20. Ausgabe Paris-Brest-Paris starten.
Vor Ort ratterten zunächst die Leerläufe der Rennräder und es wurden Fahrradtaschen ein- und ausgepackt, um nur so viele Dinge wie nötig und so wenig Gewicht wie möglich dabei zu haben, wobei einige Teilnehmer auch von einem Begleitfahrzeug versorgt wurden. Das war aber für Torben keine Option, denn er wollte das komplette Event allein meistern.
So viele Fahrradbegeisterte aus so vielen unterschiedlichen Nationen auf einem Fleck trifft man wohl nur hier. So waren neben den 600 Deutschen unter anderem auch Asiaten, Amerikaner und Inder vertreten, die eigens für dieses Radrennen mit ihrem Fahrrad angereist waren.
Die Stadt Rambouillet war in diesen Tagen mit Sportlern und Fahrrädern übersät, viele Geschäfte waren mit Paris-Brest-Paris-Deko geschmückt und es gab jeden Abend Live-Musik.
Es gingen, neben den bekannten Rennrädern in allen Preisklassen, auch Tandems, Tridems, Fatbikes, Klappräder, Liegefahrräder und Velomobile (Liegefahrrad mit Kunststoffhülle) an den Start.
Der Start erfolgte in Startblöcken von A-Z im Abstand von jeweils 15 Minuten und wurde von vielen Zuschauern von jung bis alt begleitet. Zum Abschied heißt es „Au revoir, à dans trois jours“ (frz.: „Tschüss, bis in drei Tagen“).
So startete Torben mit der Nummer P290 mit ca. 300 anderen Fahrern in seinem Startblock. Auf dem Weg begegnete er alten Bekannten aus Deutschland, die er bei den Brevets kennengelernt hatte. Nach den ersten 60 km hatte er bereits einen seiner Brevet-Freunde, der 15 Minuten vor ihm gestartet war, eingeholt. Gemeinsam fuhren sie durch die Nacht, bis sich am nächsten Tag, gegen die Mittagszeit, bei ca. 400 km, in Tinténiac ihre Wege trennten. Bei einem solchen Langstrecken-Rennen ist es schwierig, über längere Zeit mit den gleichen Fahrern zusammen zu bleiben, weil jeder zu verschiedenen Zeiten schläft, isst usw..
Nach einiger Zeit, in der er allein fuhr, traf Torben zwei Radfahrer aus dem Alten Land, vom „Ollanner Radteam“. Gemeinsam fuhren sie mehrere 100 Kilometer und als nachts plötzlich das Batterielicht an Torbens Rad ausfiel, bekam er sogar ein Ersatzlicht von einem seiner zwei Begleiter. Ansonsten hätte die Fahrt bis zum Einsetzen des Tageslichts unterbrochen werden müssen, denn Dank 2500 freiwilligen Helfern wurde auch im Dunklen das Licht der Fahrer kontrolliert und Engstellen mit Taschenlampen ausgeleuchtet.
Nach 28 Stunden und 600 km, angekommen in Brest, wurde Dienstagnacht erstmal geduscht.
Es ging auf einer sehr gut ausgeschilderten Route weiter durch französische Innenstädte und Nebenstrecken mit sehr gutem Asphalt. Die jeweils 80 km voneinander entfernten Versorgungsstationen mussten angefahren werden, um kurz zu schlafen und um das Stempelheft zu füllen, das später im Ziel gegen die heiß begehrte Medaille eingetauscht wurde. An den Stationen gab es neben landestypischen Croissants, Baguettes und Crêpes auch Kaffee, Bier, Hähnchen und Nudeln mit Tomatensoße. Sogar duschen war möglich, was für viele Teilnehmer aber ein zu großer Zeitfresser war und darum ausfallen musste.
An den Straßenrändern oder sogar auf Verkehrsinseln sah man häufig übermüdete Radfahrer in Rettungsdecken eingewickelt nächtigen. Während der gesamten Fahrt wurden alle Fahrer von der französischen Bevölkerung angefeuert und bejubelt, von Kindern abgeklatscht und Lebensmittel und Getränke gereicht.
Ein Landwirt, der die Fahrer kostenlos mit Crêpes, Milchreis und Kaffee versorgte, bat lediglich darum, ihm von zuhause eine Ansichtskarte zu schreiben. Alle bereits erhaltenen Karten hatte er an Stellwänden entlang der Straße ausgestellt
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Nach ca. 870 km fuhr Torben teilweise allein oder in großen Gruppen, wo ordentlich Tempo gemacht wurde, weiter. Eine sehr interessante Erfahrung war, in absoluter Finsternis mit über 60 km/h die französischen Hügel zu überwinden, ohne seine Mitfahrer zu kennen oder die gleiche Sprache zu sprechen. Vor sich sah man eine Perlenkette aus roten Fahrrad-Lichtern über die Berge Frankreichs fahren.
Nach 68:56 Stunden inklusive Pausen und 49:46 Stunden im Sattel an Platz 728 von 4866 Finishern kam Torben am Mittwoch um 16:44 gut gelaunt ins Ziel.
Als Training fährt der 33-Jährige so oft es geht mit dem Rad von Assel nach Stade zur Arbeit. Zur Vorbereitung auf die lange Distanz von Paris–Brest-Paris, hat Torben neben der Brevet-Serie in diesem Jahr verschiedene Radmarathons wie zum Beispiel die 300 km lange Mecklenburger-Seen-Runde oder die 300 km lange Vätternrundan in Schweden gefahren. Außerdem nimmt er regelmäßig am Training der Radabteilung des SC Hemmoor teil. Dadurch hat er in diesem Jahr bereits vor der Teilnahme an Paris-Brest-Paris eine Fahrleistung von ca. 8000 km erreicht.
Jetzt, einige Tage nach dem Event, überlegt Torben, in vier Jahren erneut an diesem Rennen teilzunehmen. Denn was man bei diesem Rennen, das eigentlich ein Rennen gegen sich selbst ist, gewinnen kann, ist nicht das Rennen, sondern neue Freunde und nach dem Rennen ist vor dem Rennen. 🙂