Der Paritätische Cuxhaven übt deutliche Kritik an den Sparplänen der Bundesregierung bei den Programmen „Jugendmigrationsdienste (JMD)” und „Respekt Coaches (RC)”. Sie werden aus dem Bundesfamilienministerium gefördert. “Die massiven Kürzungen gefährden die Integration der vielen nach Deutschland zugezogenen und geflüchteten Menschen und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie die Demokratie“, so Pari-Geschäftsführerin Helle Vanini.
Denn die Jugendmigrationsdienste unterstützen junge Menschen mit Migrationsbiografie zwischen zwölf und 27 Jahren unabhängig vom Aufenthaltsstatus bei der sprachlichen, schulischen und beruflichen Integration. Der Jugendmigrationsdienst Cuxhaven beschäftigt 2,5 Mitarbeiter*innen und hat allein 2022 391 junge Menschen betreut. Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2024 sieht für diesen Bereich eine Kürzung von zehn Millionen Euro vor. Die Zahl der nach Deutschland Einwandernden hat 2022 einen neuen Höchststand erreicht. Jährlich werden über 120.000 junge Menschen von bundesweit 1.500 Mitarbeitenden in den rund 500 Jugendmigrationsdiensten betreut.
Nun steht jedoch in Frage, ob das JMD-Programm in der aktuellen Form überhaupt weitergeführt werden kann. Denn für eine angemessene Finanzierung, wie sie der Koalitionsvertrag übrigens vorsieht, wäre aufgrund steigender Kosten und Zuzugszahlen ohnehin eine Budget-Aufstockung nötig gewesen. Die Herausforderungen für Zugewanderte – wie Wohnungs-, Ausbildungs- und Jobsuche sowie Spracherwerb – nehmen flächendeckend zu. Sie sind das Kerngeschäft der Jugendmigrationsdienste.
Im Programm „Respekt Coaches“ engagieren sich seit 2018 rund 400 Fachkräfte an 600 Kooperationsschulen mit dem Ziel, durch Gruppenangebote Menschenfeindlichkeit und Extremismus vorzubeugen und jungen Menschen in ihrer Lebenswelt demokratische Werte zu vermitteln. Auch in Stadt und Landkreis Cuxhaven sind die Respekt Coaches angeschlossen an den Jugendmigrationsdienst des Paritätischen mit vier Mitarbeitenden an Kooperationsschulen aktiv. So erfuhren Schüler*innen etwa an den BBS Cuxhaven in dem partizipativen Live-Spiel „XGames“ am eigenen Leib, wie man unmerklich mit Methoden, Argumenten und Denkweisen von extremistischen Gruppen konfrontiert und zu moralisch bedenklichen Handlungen bewegt wird. „Echt krass, das fühlte sich schlimm an“, rief eine Schülerin im Nachhinein, als sie erfuhr, mit welchen Mitteln die Spielleiter agiert hatten. Denn in der anschließenden Reflexion wurden das Erlebte und die eigenen Handlungen aufgearbeitet, um eine Immunisierung vor extremistischem Gedankengut zu erreichen. Die Schüler*innen waren sehr berührt von ihren Handlungen und der Stimmung während des Spiels und hatten zum Teil Mühe, wieder aus ihren Rollen herauszufinden. Radikale Tendenzen finden sich sowohl in der politischen Rechten, Linken als auch in verschiedenen religiösen Strömungen. „Aus diesem Grund muss Radikalisierungsprävention universell sein und so früh und breit wie möglich ansetzen, um extremistischem Gedankengut eine demokratische Perspektive entgegenzusetzen“, so der Verein Inside Out, mit dem die „Respekt Coaches“ zusammengearbeitet hatten.
Eine unabhängige wissenschaftliche Evaluierung hat die hohe Effektivität des Programms „Respekt Coaches“ bestätigt. Fachleute bezeichnen es als einziges innovatives Modell für die Arbeit mit jungen Menschen im Schnittpunkt von Sozialarbeit und politischer Bildung. Dies hat auch der 16. Kinder- und Jugendbericht im Auftrag des Bundesfamilienministeriums dargelegt. „Dass ausgerechnet dieses renommierte Bundesvorhaben aufgrund fehlender Finanzierung vorzeitig zum Jahresende 2023 auslaufen muss, ist eine gravierende Fehlentscheidung. Sie hätte zur Folge, dass der Bund ein wesentliches Instrument zur Demokratiebildung fahrlässig verliert. Das gilt besonders, da rassistische, antisemitische und politisch motivierte Gewalttaten in Deutschland rapide zunehmen und die AFD in Umfragen zu bevorstehenden Landtags- und Bundestagswahlen bei 20 und mehr Prozent liegt. Vor diesem Hintergrund können wir die Kürzungen absolut nicht nachvollziehen. Sie stehen im krassen Widerspruch zum Koalitionsvertrag“, so Kai Uhlhorn, stellvertretender Pari-Geschäftsführer und fordert hiesige Lokal-, Landes- und Bundespolitiker aller demokratischen Parteien auf, auf die Vorhaben der Ampel-Koalition einzuwirken. Denn eigentlich hätte das Respekt-Coaches-Programm bis mindestens Ende 2024 bestehen sollen. Den Trägern wurden dafür vom Bund 20 Millionen Euro garantiert. Die geplanten Kürzungen strapazieren daher ihr Vertrauen in den Fördermittelgeber aufs Äußerste.
Bildunterschrift:
Daria Ruban (l.) aus der 8c der Süderwischschule hat 2022 gerne am RAP-Projekt der Respekt Coaches teilgenommen. Sie schrieb mit ihrer Kleingruppe eine Strophe im Song „Zukunft” und rappte im Beisein des „Rapagogen“ Philip Anderl (r.) souverän ihren Part. Foto: Paritätischer